12. Januar 2015

Reto Schneider befasst sich bei der Swiss Re mit zukünftigen Risiken und wie man sich auf diese vorbereiten kann. Solche Anpassungen bedingen eine Bereitschaft zur Veränderung, ein fortlaufendes Überdenken der eigenen Verhaltensweisen und Risikokultur.

 

Was macht für Sie eine starke oder adäquate Risikokultur in einer Organisation aus?
Risikokultur ist das Resultat aus gelebten Werten. Dazu gehört ein vernünftiges Mass an Transparenz im Umgang mit Fehlern, die Bereitschaft aus Fehlern zu lernen und das Bekenntnis, sich permanent verbessern zu wollen.

 

Unterscheiden sich Versicherungen dabei von anderen Organisationen?
Für uns bedeutet das Management von Risiken automatisch auch das Managen von Zahlen. Das funktioniert nur mit einem Risk Management Framework bestehend aus drei Ebenen: Einem philosophischen Überbau (Ethik, Moral und Werte) und einem längerfristigen Ausblick, in welchem Risikoappetit und -toleranz beschrieben werden. Auf der untersten Ebene sind schliesslich kurzfristige Strategie mit Produktionsvorgaben, die sich innerhalb der beschriebenen Risikotoleranzen bewegen.

 

Wo zeigt sich die Risikokultur der Swiss Re?
Unser 150-jähriges Bestehen zeigt, dass wir im Umgang mit Risiken wohl vieles richtig machen. Aber auch bei uns hat sich die Finanzkrise dramatisch bemerkbar gemacht. Wir haben erkannt, dass Modelle zum Teil auf Annahmen beruhen, welche die Komplexität der Welt nicht vollständig abbilden. Heute wird mehr auf die Zusammenhänge zwischen den früher stärker unabhängig eingeschätzten Risiken geachtet.

 

Wie kann die Risikokultur innerhalb einer Organisation gestärkt werden?
Der Feind einer vernünftigen Risikokultur ist sicher ein auf kurzfristige Erfolge ausgerichtetes Belohnungssystem. Das Geschäft der Swiss Re bindet uns zuweilen über Jahrzehnte. Wir nehmen deshalb für uns in Anspruch, auch den Zeithorizont für Belohnungen länger zu setzen. Zusätzlich wird auch die Art der Zielerreichung (inklusive «weichen Faktoren») in die Beurteilung einbezogen. Dies fördert zum Beispiel die Teamarbeit.

 

Wohin entwickelt sich die Risikokultur in der Gesellschaft?
Die Welt wird scheinbar immer sicherer und wir Menschen haben immer weniger Gelegenheit, selbstbestimmt unseren Risikoappetit zu definieren. Dies führt zu Phänomenen wie dem Boom von Risikosportarten. Nach Unfällen suchen wir dann sofort die Schuldigen. Hier wünschte ich mir manchmal wieder mehr Eigenverantwortung. Ich sehe eigentlich den Trend, Risiken auszublenden. Wer die Risiken aber nicht sehen will, kann auch keine Risikokultur entwickeln.

 

Gibt es eine «adäquate» Risikokultur für die Gesellschaft?
In der Wirtschaft geht es um ein massvolles Steuern und Kontrollieren von Risiken mit dem Ziel, einen Gewinn zu erwirtschaften. Zu viel «Haudegentum» soll ebenso vermieden werden wie die Lähmung aus Angst vor Risiken. Für die Gesamtgesellschaft entscheidet die Gesellschaft selbst, welche Risiken sie akzeptieren will. Damit dies möglich wird, braucht es risikokompetente Bürgerinnen und Bürger. Wünschenswert wäre, wenn wir alle mehr über Wahrscheinlichkeiten, Abhängigkeiten und ihre Bedeutung im Alltag wissen würden. Im Moment interessieren fast nur die Folgen der Risiken.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Interview: Matthias Holenstein

Bildquelle: Swiss Re (Reto Schneider)