Risikokultur in Organisationen und in der Gesellschaft
Wie gelangt eine Organisation zu einer adäquaten Risikokultur? Wie kann die Gesellschaft kompetent mit Risiken umgehen? Welche Anreize und Rahmenbedingungen prägen beide Kontexte?
Unternehmerisches Ziel
Risikokultur im organisationalen Umfeld ist ein breites Wissensfeld. Charakteristisch ist, dass sie – mehr oder weniger explizit – einen bewusst angestrebten Zielzustand beinhaltet. Sie wird meist von der Führung vorgegeben und – so das Ziel – in der gesamten Organisation gelebt. Das «richtige» Mass an Risikotoleranz kann zwischen Organisationen und im Zeitverlauf stark variieren. Mal gilt es, die Organisation in Bezug auf Safety und Arbeitssicherheit zu stärken. Vorstellbar ist aber auch, dass Impulse in Richtung Chancennutzung und Innovation zu setzen sind. Werte, Normen und Vertrauen spielen dabei immer eine ausschlaggebende Rolle. Im Rahmen einer Risikomanagement-Strategie gilt es, sowohl das Vertrauen als auch ein gesundes Mass an Eigenverantwortung und Wissen zu fördern. Eine adäquate Risikokultur lässt Fehler zu, schafft individuelle Anreize, die den organisationalen Zielen und der Komplexität entsprechen. Sie pflegt eine offene, transparente und angstfreie Kommunikation (gerade auch zu Fehlern). Die Erfahrungen der Stiftung Risiko-Dialog zeigen, dass in einem ersten Schritt oft eine vertiefte Analyse der bestehenden Risikokultur in einer Organisation notwendig ist. Nur so lässt sich ableiten, wo angesetzt werden kann, um allfällige Veränderung zu initiieren. Geht es um Rahmenbedingungen oder Anreize? Welches Sicherheitsniveau herrscht zurzeit? Danach gilt es zu klären, welche Risikokultur denn künftig für die jeweilige Organisation adäquat sein könnte. Die Umsetzung sollte mit Einbezug der Mitarbeitenden erfolgen, da Gruppen eine Kulturveränderung in der Regel einfacher umsetzen und langfristiger tragen können, als Einzelpersonen.
Gemeinsam das Mass finden
Im gesellschaftlichen Kontext ist der Begriff Risikokultur weniger scharf definiert. Gesellschaftlicher und technologischer Wandel, Wertehaltungen und soziale Normen, aber auch individuelle Faktoren beeinflussen, wie Risiken wahrgenommen werden und wie die Gesellschaft damit umgeht. Das richtige Risikomass muss deshalb in einem Aushandlungsprozess innerhalb der Gesellschaft gefunden werden. Dieses muss gelebt und fortlaufend überwacht werden. In der Praxis kann mittels partizipativer Prozesse sowie mittels Informationsvermittlung durchaus eine adäquate Risikokultur gefördert werden. Adäquat meint in diesem Fall, dass gesellschaftlich robuste Entscheidungen, basierend auf einer sorgfältigen Abwägung von Chancen und Gefahren, zustande kommen. Ein häufiges Problem bei solchen Risiken ist, dass Wertehaltungen, Meinungen und der Wissensstand der Experten gelegentlich mit denjenigen der breiten Bevölkerung kollidieren. Eine neutrale Moderation und die Begleitung eines ergebnisoffenen Prozesses haben sich in bisherigen Projekten als wichtige Erfolgsfaktoren herausgestellt. Derartige Auseinandersetzungen mit dem Thema brauchen Zeit und Ressourcen.
Risikokultur im Katastrophenmanagement
Obwohl Naturkatastrophen und technische Grossunfälle seltene Ereignisse darstellen, ist ihre Relevanz gesellschaftlich hoch. Zur Stärkung einer angemessenen Risikokultur im Kontext Katastrophenschutz ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit potenziellen Katastrophen zu fördern. Wissensstände müssen vorsorglich erhöht, Fähigkeiten zur eigenen Vorsorge gestärkt sowie Misskonzepte korrigiert werden. Ziel ist eine Risikokultur, die bereit ist, mit gewissen Risiken zu leben (ohne gleich in Angst und Schuldzuweisungen zu verfallen), und Ressourcen angemessen einsetzt. Sie ist Voraussetzung für eine resiliente Gesellschaft. Dazu braucht es Handlungskompetenz (wie kann ich mich unabhängig von Szenarien vorbereiten? Was soll ich im Ereignisfall tun? etc.). Das zeigt sich auch in den Erfahrungen, welche die Stiftung Risiko-Dialog im Rahmen ihrer Arbeiten macht. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Einbindung der Bevölkerung im Katastrophenmanagement sowohl in der Vorsorge als auch im Ereignisfall unabdingbar ist.
Risikokompetenz als Grundlage für adäquate Risikokultur
Obwohl sich die Risikokultur im organisationalen und gesellschaftlichen Bezug auf die Rahmenbedingungen unterscheiden, ist eine grundlegende Prämisse für beide Kontexte gültig: Eine adäquate Risikokultur setzt eine umfassende Risikokompetenz voraus. Damit hängen zum einen die Fähigkeit, Risiken adäquat einzuschätzen, und das Wissen um angemessenes Verhalten zusammen. Zum anderen stellt aber auch die gegenseitige Perspektivenübernahme ein zentrales Element einer risikokompetenten Gemeinschaft dar – die nicht nur individuellen Ansprüchen genügen soll. Der gegenseitige Austausch von Erwartungen und Einstellungen ist gerade in einer immer stärker wertpluralisierten Welt wichtig. Damit lassen sich ein gemeinsam akzeptables Risikoniveau festlegen, Handlungsprioritäten definieren und ein passender Umgang mit Konflikten finden – im Sinne einer adäquaten Risikokultur.
Matthias Holenstein, Anna-Lena Köng
Bildquellen: Risiko-Spiel der Firma Hasbro; Stiftung Risiko-Dialog; DialoGGeo